Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Genie und Arschloch" – Christian Teissl
Literarisches Österreich, Heft 2009/2
 
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Hg. Manfred Chobot:

       
   

Genie & Arschloch.
Licht- und Schattenseiten
berühmter Persönlichkeiten.

     
   

Anthologie.

     
   

Wien: Molden Verlag, 2009.

     
   

280 S.

     
   

ISBN 978-3-85485-234-6

     
           
               
 
   
     
     
 

In einem seiner letzten Interviews gab Oskar Werner auf die Frage, warum er sich denn seinerzeit geweigert habe, in einer großen, prominent besetzten europäischen Filmproduktion den Richard Wagner zu spielen, prompt zur Antwort: „Weil ich Wagner hasse wie die Pest!“ Für diesen Hass, der keinen Widerspruch duldete, hatte er auch umgehend die Erklärung parat: Der Komponist der „Meistersinger“ sei nun einmal „ein richtiger Schweinehund“ gewesen, der alle Menschen in seiner Umgebung skrupellos ausgenutzt habe.

Sinnigerweise steht am Ende des vorliegenden Sammelbandes mit einschlägigen Texten zu einschlägig bekannten Persönlichkeiten ein Beitrag über Richard Wagner, verfasst von der langjährigen Ö1-Moderatorin Friederike C. Raderer, und was darin an Episoden aus Wagners „Heldenleben“ erzählt und an unschönen Details angeführt wird, gibt Oskar Werner nachträglich recht, und das doppelt und dreifach. Allerdings ist der Titel dieser 280 Seiten starken Anthologie nicht „Genie und Schweinehund“, sondern, noch um einiges griffiger und angriffiger, „Genie und Arschloch“, und mit letzterem ist selbstverständlich nicht das „Herzbrüderlein Popo“ gemeint, das Peter Hammerschlag so rührend und unvergesslich komisch bedichtet hat, sondern jener Mr. Hyde wie auch jene Mrs. Hyde, der und die offenbar in jeder und in jedem noch so genialischen Dr. Jekyll verborgen ist und über kurz oder lang zum Vorschein kommt, mit mehr oder weniger schrecklichen Folgen.

Die Reihe größtenteils bedeutender und prominenter, samt und sonders aber zwiespältiger oder zumindest umstrittener Figuren der Kultur- und Geistesgeschichte, die hier besichtigt und unter die Lupe genommen werden, reicht von Kandinsky und Picasso über die Dioskuren Beauvoir & Sartre und deren Cour d’amour bis hin zu Karl Valentin und dessen bisweilen höchst zweifelhaften „practical jokes“. Unternommen werden diese Besichtigungen zumeist in Form von essayistischen Porträts, abgefasst in einer halb literarischen, halb populärwissenschaftlichen Sprache (beide Attribute bitte nicht als Schimpfworte zu verstehen!), und in einem Umfang von jeweils knapp zehn Buchseiten. Den Porträts vorangestellt ist eine grundlegende Reflexion des Wiener Kultur- und Literaturwissenschaftlers Wolfgang Müller-Funk, gelehrt und gelehrig wie alles, was man von diesem Autor zu lesen bekommt.

Die meisten der hier versammelten Texte waren ursprünglich als Vorträge konzipiert, und dieser Umstand kommt ihnen durchaus zugute, denn wer sich an eine Hörerschaft wendet, ist zur Klarheit und Stringenz gezwungen, kann sich kaum Ornamente und keine leeren Meter leisten. In Büchern kann man sich, wenn einem danach ist, verzetteln, in einem Vortrag gilt es, einen bestimmten Gegenstand zu vermitteln. So ist die Sprache dieses Buches im besten Sinne des Wortes eine Vortragssprache; es dokumentiert – ohne diesen Umstand sonderlich zu betonen – ein gleichnamiges zweitägiges Symposium, das Ende Jänner 2008 im Wiener Literaturhaus stattgefunden hat. Ideengeber und Initiator war Manfred Chobot, und von allem Anfang hatte er auch eine Drucklegung, eine Publikation größeren Stils im Sinn und im Auge – und schließlich das Glück, im Molden Verlag dafür einen passenden Partner zu finden.

Die von ihm herausgegebene erweiterte Nachlese und Zusammenfassung jener beiden Abende vor bald zwei Jahren ist eine Publikation, die sichtlich weder Resteverwertung noch Verlegenheitslösung ist, sondern eine sorgfältig gestaltete, im weitesten Sinne des Wortes – und trotz des analen Elements in seinem Titel – „kulinarische“ Anthologie, ein Lesebuch zum Schmökern und Kreuzundquerlesen, eine Publikation, die, wer weiß, vielleicht sogar der Auftakt zu einer Reihe sein könnte.

Dass sich nicht alle der insgesamt 15 Beiträge auf demselben Niveau bewegen, versteht sich von selbst. Manches ist ebenso aufregend wie aufschlussreich, ich denke da vor allem an Helmut Rizys fundierten und glasklar ausformulierten Beitrag über den heute kaum mehr bekannten Wiener Komponisten Hans Rott, Ludwig Lahers kleine Studie über die Abgründe Franz Stelzhamers oder Rolf Schwendters Miszelle „Die Verschlagenen“, eine Gegenüberstellung von Rimbaud und Claire Goll; manches ist ebenso komisch wie ernüchternd – so der Beitrag des Herausgebers Manfred Chobot über Billinger als Radikal-Plagiator oder die Valtentin-Episode „Tücken im Reich des Blödsinns“ aus der Feder seiner Biographin Monika Dimpfl.

Ein wichtiger und weitgehend eigenständiger thematischer Strang innerhalb des Gesamtthemas ließe sich „Weibliche Genies und ihre männlichen Ausbeuter und Verhinderer“ überschreiben. In diesem Zusammenhang stehen Judith Gruber-Rizys Essay über die unbedankte „schreckliche Treue“ und aufopferungsvolle Liebe der Malerin Gabriela Münter zu dem Egomanen Wassily Kandinsky – ein Kapitel, das gerne verschwiegen wird, wenn vom „Blauen Reiter“ und der künstlerischen Avantgarde von anno dazumal die Rede ist – sowie Hilde Schmölzers Nachbetrachtung zu dem offenbar unerschöpflichen Thema „Brecht und die Frauen“.

Äußere und innere Gestalt des Buches sind ansprechend, über kleinere sprachliche Schnitzer dort und da – etwa ein „verholfen“ ohne dazugehörigen Dativ, ein „schamlos ausgenützt“ dort, wo davon die Rede ist, dass jemand schamlos ausgenutzt wurde – kann man getrost hinwegsehen. Als Geschenksbuch eignet es sich auf jeden Fall; es muss ja nicht gerade der Geburtstag sein.

Christian Teissl

 
 
 
 
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