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Rezension „Der Tag beginnt in der Nacht“ – Wolfgang Huber-Lang
APA – Austria Presse Agentur, 23.5.2011
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Der Tag beginnt in der Nacht
– Eine Erzählung in Träumen
     
    2011      
    Wien: Sonderzahl      
    120 Seiten      
    15 €      
           
               
 
   
     
     
 

"Der Tag beginnt in der Nacht": Träume und Schäume von Manfred Chobot

Utl.: Morgen wird in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur
ein neuer Erzählband des Wiener Autors vorgestellt - Assoziativer Sprachstrudel (Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

Wien (APA) - Der Versuch dauert nur ein paar Minuten, ein paar Seiten. Der Versuch, sich zurechtzufinden in dem neuen Buch von Manfred Chobot. Dann gibt man es auf. Und genießt. Oder auch nicht. Denn "Der Tag beginnt in der Nacht" ist eine "Erzählung in Träumen". Und die gehorchen keinen logischen Gesetzen. Da regiert ein Wildwuchs aus Assoziation und Sprache, gegen den man nicht ankommt, wenn man nicht gewillt ist, sich darauf einzulassen. Morgen, Dienstag, liest der 64-jährige Wiener in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur aus seinem neuen Buch und aus seinem zuletzt erschienenen SMS-Roman "Der Bart ist ab".

"In der Küche hat jemand eine Schallplatte auf die eingeschaltene Herdplatte gelegt: Tonlos schmilzt sie dahin. Entpuppt sich durch das Abschalten des Stromes als ein Stück Fleisch, gar und gebraten." Es sind surreale, assoziative Bilder, mit galoppierender Fabulierlust und  schelmischem Sprachwitz aneinandergefügt. "Unverhofft kommt der Papst zu Besuch. 'Unangemeldet?', frage ich skeptisch, weil es mir wie ein Wunder vorkommt. 'Stell dir vor, er ist erschienen ohne anzuklopfen. Die Überraschung ist ihm gelungen.' Hannah weiß, wovon sie redet. 'Gewiss wollte er dir eine Freude machen. Oder sich einfach ausreden.'"

Neben dem Ich-Erzähler kristallisiert sich ein Figurenpanorama heraus, in dem Frauen wie die Gefährtin Hannah oder Grazien wie Agathe, Beate und Jolande eine wichtige Rolle spielen, und die Namen von Freunden wie Hans Carl (auch H.C. genannt), Heller, Kreuzer, Gulden oder Stifter fröhlich durch Wald, Wiese und die österreichische Literaturgeschichte mäandrieren. Ebenso reich ist das Beziehungsgeflecht dieses Traumgebildes, das auf Erkenntnisse von Sigmund Freud ebenso zurückgreift wie auf Sprachexperimente der Wiener Gruppe und in seinem Verfahren, Sprache sowohl als treibende Kraft wie als Kalauer-Potenzial zu verwenden, ebenso an Elfriede Jelinek denken lässt.

Vor einem Jahr hat sich auch Peter Handke intensiv mit Träumen auseinandergesetzt: "Ein Jahr aus der Nacht gesprochen" war eine etwas angestrengte Sammlung von Notaten zwischen Träumen und Wachen, Unterbewusstsein und Dichterehrgeiz. Chobot geht es deutlich lockerer an. Das macht "Der Tag beginnt in der Nacht" leichtfüßiger, aber auch leichtgewichtiger. Wenn man sich dem Traum- und Erzählfluss ergibt, lässt sich auf seinen Schaumkronen munter dahintreiben. Am Ende lässt einen Chobot allerdings erbarmungslos untergehen. Da wird ohne Vorwarnung einfach aufgehört. Und aufgewacht.

Wolfgang Huber-Lang

 
 
 
 
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