Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Versuch den Blitz einzufangen“ – Emily Walton
Literaturhaus Wien, 13.12.2011
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Versuch den Blitz einzufangen      
    2011      
    Innsbruck: Limbus      
    192 Seiten      
   

€ 18,90

     
           
               
 
   
     
     
 

Es heißt, ein guter Roman beginnt mittendrin. Der Autor steigt sofort ins Geschehen ein, ohne lange herum zu fackeln. Ohne lange zu erklären, warum und wieso der Protagonist in diese oder jene Lage gekommen ist. Manfred Chobot gelingt dieser Einstieg, er geht in medias res und lässt sein Buch mit einer bildhaften Szene beginnen: Ein Erwachsener – der Ich-Erzähler – versucht seinem Sohn Ügl-Ü, einem Kleinkind, den Unterschied zwischen einem Ball und einer Kugel zu erklären. Das Kind will nicht hören, der Vater wird ungeduldig. Kurz darauf dann schon das erste Drama, als Partnerin Maria beim Lebensmitteleinkauf verkündet, schwanger zu sein.

Versuch den Blitz zu fangen“ ist ein Familienroman, der eine Fortsetzung von Chobots Werk „Reise nach Unterkralowitz“ darstellen soll. Bereits 2009 hat der Autor ein prosaisches Familienpanorama geschaffen. Nun greift er das Thema wieder auf.
Zwar gibt es über weite Teile einen männlichen Ich-Erzähler, dennoch geht es in diesem Buch weitgehend um die Frauen in der Familie (die im Vorgänger-Buch zu kurz kamen): um die (Geheim-)Prostituierte Brigitte etwa, um die Anna-Tante, die ihre Männer übel sekkiert. Oder um die dicke Alice, die angeheiratete Verwandte aus der Türkei.
Behandelt werden jene Themen, die in den besten Familien vorkommen: Die kleinen Geheimnisse voreinander, die Sticheleien untereinander, der Neid unter Geschwistern („Er werde dieses Baby, ob Bruder oder Schwester, totschießen, verkündet Ügl-Ü“, S. 18), die Vater-Tochter-Beziehungen und die Herausforderung, uneheliche Kinder groß zu ziehen. Und natürlich prägt auch die Zeitgeschichte diese so vielfältige Familie, die in drei Generationen beschrieben wird.
Ein zentraler Handlungsstrang ist jener rund um den Vetter und Schlagersänger Freddy Quinn. Auf dessen Spuren begibt sich der Ich-Erzähler. Dazu tritt er einem Fanclub bei, um mehr über den Cousin herauszufinden, reist sogar nach München, um den Manager des Schlagersängers zu treffen.

Hervorzuheben an diesem dichten Text sind die kleinen Details, die bereichern: So webt Chobot etwa Namenskunde mit ein: „Alice ist sowohl die französische als auch die englische Kurzform von Elisabeth, aber auch von Alexandra sowie Adelheid. Leitet sich der Name von Tante Alice von Elisabeth her, heißt er auf Hebräisch: „Gott ist mein Eid!“ Wäre jedoch Alexandra ihr Name, ist sie „jene, die Frauen abwehrt“, denn Alexander ist „jener, der Männer abwehrt“. Während Adelheid „strahlend an Geschlecht“ ist, mithin eine schöne Frau. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Was sich der türkische Vater meiner türkischen Tante bei der Namensgebung seiner Tochter überlegt haben mag, ließ sich nicht mehr ermitteln. (S. 35.) Und neben solchen heiteren Erläuterungen beschreibt der Autor etwa auch die Herkunft des Diesels oder schildert den Alltag im Zirkus.

Das Buch ist eine Fortsetzung von „Reise nach Unterkralowitz“, lässt sich aber sehr gut als eigenständiges Buch lesen – vorausgesetzt man bringt die Bereitschaft mit, sich in diese Familie hineinzuversetzen. Der häufige Perspektivenwechsel fordert zum Mitdenken auf – was durchaus angenehm ist. Es gibt zahlreiche Rückblenden, Zeit- und Ortswechsel und auch das Tempo variiert. Stellenweise lesen sich Passagen wie Auszüge aus einem Drehbuch.
Der Ton ist leichtfüßig, humoristisch, in Zügen sarkastisch. Ein großzügiges Layout beschleunigt den Lesefluss ungemein, sodass das Buch binnen kurzer Zeit gelesen werden kann, was man vielleicht auch tun sollte, um nicht allzu sehr durcheinander zu kommen – etwa mit den Namen und Familienbeziehungen. Ein Tipp: Für jene, die Unterstützung brauchen, ist folgende Passage auf Seite 12 zu empfehlen: „Dennoch will und wünsche ich mir eine Tochter. – Eine Tochter anstatt meiner Tante Anna und meiner Mutter Fanny und meiner Cousine Brigitte. Lieber keinen Onkel Paul und keine türkische Tante Alice. Stattdessen eine angehende Frau, die anders sein soll. Auch keinen sogenannten Cousin Freddy, dessen Vater Erich die Tante Anna nicht geheiratet hat.“

Emily Walton
13. Dezember 2011

 
 
 
 
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