Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan“
Sigrid Kramer
Morgenschtean, U42-43/2014
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan      
    Mit Beppo Beyerl      
    2014: Wien, Löcker      
    236 Seiten      
    € 19,90      
           
               
 
   
     
     
 

Bitte wer ist Ivan Cankar?

In der Regel nimmt ein der Stadt Unkundiger einen Stadtplan zur Hand oder googelt mal kurz, um eine bestimmte Lokalität oder Wohnadresse zu finden oder von A nach B zu kommen. Genaueres zu den Namengebern der Straßen und Plätze kennt der durch die Stadt Streifende zumeist nicht. Für alle jene, die mehr als den Namen am Straßenschild lesen möchten, haben die beiden Literaten und exzellenten Kenner des alten und gegenwärtigen Wien, Beppo Beyerl und Manfred Chobot, in akribischer Recherche einen kurzen Abriss zur Geschichte der Wiener Straßenbenennung zu Papier gebracht. In 23 lesenswerten Kapiteln erzählen sie vom Leben und Wirken der zumeist in Vergessenheit geratenen Persönlichkeiten, ergänzt durch eine geglückte Auswahl an Textbeispielen. Die Faszination der beiden Autoren für Straßen, Gassen und Plätze ist spürbar. Wie mit einer Kamera zoomen sie sich an die Namen auf den Straßenschildern heran und filtern aus dem Verborgenen ein stimmiges Bild des kulturellen, sozialen und politischen Umfelds der Porträtierten.

Betrachtet man zu Beginn das Inhaltsverzeichnis, dann fällt einem sofort auf, dass von den behandelten Personen nur vier weiblich sind: Ada Christen, Alma Johanna Koenig, Selma Lagerlöf und Rosa Mayreder. Letztgenannte hat es als Frau immerhin auf zwei Wiener Straßenschilder geschafft. Der Rosa-Mayreder-Park ist Teil des Karlplatzes, die Straße desselben Namens befindet sich abgeschieden zwischen Äckern und ein paar Häusern in Breitenlee. Die Wiener Schriftstellerin und Malerin verfasste wichtige Bücher für die Frauenbewegung und setzte sich für die Gleichstellung der − großbürgerlichen − Frauen durch Bildung ein. Warum nur ein wesentlich geringerer Teil an weiblichen Personen im Buch Eingang gefunden hat, dafür haben die beiden Autoren eine plausible Erklärung: Erst Anfang der 70er-Jahre wurden Verkehrsflächen nach weiblichen Persönlichkeiten benannt, zuvor war diese spezielle Ehrung fast ausschließlich Männern vorbehalten. 

Viele der Porträts erzählen von Zensur, Unterdrückung, vom Eingreifen der Obrigkeit in die persönliche Freiheit der Schreibenden, von reaktionärem Gedankengut und Wendehälsen. Manche der Dichter bewiesen Rückgrat, blieben ihrer Gesinnung treu wie der Aufklärer Johann Baptist Alxinger (1755-1797), der das Ideal der Humanität und Menschlichkeit neu belebte und an Veränderung und Fortschritt festhielt. Der Satiriker Aloys Blumauer (1755-1798), einer der wichtigsten Autoren der Aufklärung in Österreich, saß wegen seiner aufklärerischen Ideen mehrmals in Haft. Außergewöhnlich für die damalige Zeit war Blumauers Wahl der Themen, die sich oft mit den "niedrigen" Dingen des Lebens befassten. So schrieb er z. Bsp. eine "Ode an den Leibstuhl" (Erhaben setzt, wie auf den Sitz der Götter, / Der Weise sich auf dich, / sieht stolz herab und läßt das Donnerwetter / Laut krachend unter sich (S. 44). Mit 76 Jahren Verspätung wurde dann doch eine Gasse im heutigen 2. Wiener Gemeindebezirk nach diesem bemerkenswerten Literaten benannt.

Andere wiederum änderten ihre politische Farbe ähnlich einem Chamäleon (Eduard von Bauernfeld),  zeigten antisemitische und antidemokratische Tendenzen (Robert Hamerling) oder waren bekennende Nationalsozialisten wie der steirische Dialektdichter Hans Kloepfer. Die ehemalige Hamerlingstraße (es gibt 5! nach Robert Hamerling benannte Wiener Verkehrsflächen) im 22. Bezirk wurde 10 Jahre nach (!) dem Ende des Naziregimes in Kloepferstraße umbenannt.  Bedenkt man, dass von den 4249 vorgefundenen Wiener Straßennamen und Plätzen laut einer Studie unter der Leitung des Wissenschaftlers Oliver Rathkolb  159 wegen ihres Bezugs zur NS-Zeit als "problematisch" eingestuft werden, dann gibt es noch viel zu tun in Wien − und nicht nur in Wien. Zahlreiche Straßen und Plätze in der Steiermark tragen den Namen Hans Kloepfer, seine Gedichte, wie einem diesjährigen Programmheft zu entnehmen ist, werden noch heute bei Veranstaltungen gelesen.

Immer wieder schaffen es Beppo Beyerl und Manfred Chobot, die Aufmerksamkeit der Leserin auf spannende Details am Rande zu lenken. Der Dramatiker Adolf Bäuerle (1786-1859) zum Beispiel war in zweiter Ehe mit der ehemals bekannten Schauspielerin Katharina Ennöckl verheiratet, welche im Leopoldstädter Theater vor allem in Dialektrollen glänzte. Auch als Herausgeber von Theaterzeitschriften war Bäuerle äußerst produktiv.

Ja, und wer ist jetzt eigentlich Ivan Cankar? Die Straße mit seinem Namen befindet sich versteckt in einer Eigenheimsiedlung im Stadtteil Essling im 22. Bezirk. Der 1876 in Slowenien geborene Autor führte ein rastloses Wanderleben, lebte Zeit seines Lebens in Armut, war ein Gegner der Monarchie und kämpfte für einen gemeinsamen Staat der Südslawen. Seine "Wiener Texte" erzählen ohne jegliche Verklärung von Not und Elend der kleinen Leute. Und er war einer jener Schreibenden, der − unter die Haut gehende −  Sätze wie "In dieser Gasse hat es noch nie einen glücklichen Menschen gegeben" (S. 50) schuf. Wer mehr über diesen höchst interessanten Dichter und andere Vergessene erfahren möchte, nehme die"Straßen des vergänglichen Ruhms"zur Hand.

Manfred Chobot und Beppo Beyerl ist da ein höchst lesenswertes Buch gelungen. Es weiß die Neugierde der Lesenden zu beflügeln, gibt viel Wissenswertes preis, der Lernfaktor ist hoch. Es punktet mit Detaildichte und ist daher auch als Nachschlagewerk bestens geeignet. Eine anregende, fesselnde Lektüre − ein Glücksfall!

Sigrid Kramer

 

 
 
 
 
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