Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Doktor Mord. 52 Mini-Krimis“
Helmuth Schönauer
Österreichisches Bibliothekswerk
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Doktor Mord. 52 Mini-Krimis      
           
    Hardcover mit Schutzumschlag      
    2015: Wien, Löcker
220 Seiten
     
    € 19,80,–      
    ISBN 978-3-85409-749-5 / 3-85409-749-2      
               
 
   
     
     
 

Der Krimitis, die allgegenwärtig in den Städten und entlegenen Regionen vor allem in Österreich wütet, begegnen besonnene Autoren mit Entschuldigung, wenn sie damit ein Geschäft machen müssen, oder Verhöhnung, wenn sie es sich leisten können, eine eigene Meinung zu haben.
Manfred Chobot hat in seinem Untertitel zum „Doktor Mord“ zwar das Unwort Krimi stehen, seine 52 Kurzgeschichten um Leben und Tod haben aber etwas anderes im Sinn. Ähnlich wie in den Fallgeschichten und Lebensläufen bei Alexander Kluge geht es um biographische Highlights von Alltagshelden. Was passiert, wenn jemand seine Durchschnittlichkeit auf die Spitze treibt? – Es endet jeweils mit Mord und Totschlag.
Bei 52 Mini-Krimis geht sich wöchentlich ein Jahr lang wilde Geschichten aus, wie sie sich am Sozialamt, in den Sub-Kulturen der Beisl oder am Gericht tatsächlich Tag für Tag abspielen.
Gleich die erste Story zeigt die Verquickung von Alltag, Schicksal und Sehnsucht, daraus auszubrechen. Eine Frau kommt in den Flammen um, offensichtlich ist es beim Bügeln geschehen, dass alles in Brand geraten ist. Aber es ist der Lover, der gesteht, manchmal auch gewalttätig sein zu müssen. Er wird verurteilt, aber etwas später gesteht der Mithäftling, dass er die Tat begangen hat. Der Lover wird begnadigt und verlässt stracks die Kleinstadt. In dieser Fallgeschichte sind Motiv, Tat, Irrtum und Strafe völlig zufällig verteilt. Die Helden nehmen ihr Schicksal lapidar zur Kenntnis, das Gesetz mahlt mit seiner Mühle eine Runde, die Gesellschaft wird durch diesen Fall kein bisschen besser oder schlechter.
In ähnlicher Coolness kommt jemand wegen der Scheidung in der Badewanne um, jemand spezialisiert sich auf Versicherungsbetrug, um das Häusl fertig bauen zu können, ein anderer räumt die Firmenkonten leer, um eine schnelle Liebe zu stillen und Dr. Mord schließlich wird eines doppelten Verbrechens bezichtigt, er soll sein Opfer synchron erschossen und erwürgt haben, was schließlich zu einem Freispruch führt.
Die Fälle spielen sich in unauffälligem Milieu ab, jeder von uns kann betroffen sein, sowohl als Täter als auch als Opfer. Am ehesten sind es noch die Stoffe und Motive, die ein wenig Ordnung in das scheinbar zufällige Verbrechen bringen. Die Liebe führt die Beteiligten oft letal zusammen, auf der Jagd spielen sich auch unter Menschen Hinrichtungen ab, wenn nebenher auf das Wild geschossen wird, das Geld ist ohnehin der größte Motor für Verbrechen, und oft ist es auch die Aussicht auf einen qualvollen Tod, der jemanden die Sache beschleunigen lässt, indem er beim Abgang noch jemanden mitnimmt.
Wenn sich jemand mit dem Krimi Auge über diese Fälle hermacht, kriegt er in nuce ein paar Laufmeter Krimispannung vorgesetzt: Wer mit dem soziologischen Auge liest, dem erschließt sich die österreichische Seele, wie wir sie aus dem Chronik-Teil der Zeitungen gewohnt sind. Wer sich an einer guten Erzähltheorie laben will, wird begeistert sein von der Kunst der Kaltnadelradierung, mit der die Figuren scharf gestochen und erstochen sind. Hier grüßt der Altmeister Alexander Kluge und hat Wohlgefallen an Doktor Mord.

Helmuth Schönauer

 

 
 
 
 
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