Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Stadtgeschichten" - O.P. Zier  
(Literatur und Kritik, September 1999)
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
     
 
  Stadtgeschichten
     
    Erzählungen      
    1999: Weitra, Bibliothek der Provinz      
    € 19,00      
           
           
           
               
 
     
     
  Literatur und Kritik, Heft 337/338, September 1999  
     
 
Ein Chronist flüchtiger Alltagsmomente
"Stadtgeschichten" von Manfred Chobot
 
     
 

Manfred Chobot. Jahrgang 1947, ist nicht nur der Minderheit ehemaliger preisgekrönter Leistungssportler (Disziplin "Schwimmen") zuzurechnen, sondern auch jener der in der Bundeshauptstadt lebenden SchriftstellerInnen, die tatsächlich in Wien auch geboren wurden, somit nach Beendigung der Schwimmerlaufbahn immerhin noch einer der Hechte im Karpfenteich all der reschen SteirerInnen und feurigen Kärntnerlnnen dieser Branche sozusagen; dem feuchten Naß ist er, nebenbei bemerkt, auch mit der Wahl des Studiums der "Kulturtechnik" treu geblieben, das zwar für Laien nach akademisch geadeltem Kulturveranstalter klingt, in Wahrheit jedoch den Bereich "Wasserbau"zum Inhalt hat.

Der gebürtige Wiener Manfred Chobot hat dem Dialekt seiner Stadt einige der gelungensten Texte im Genre "Dialektgedicht" beigesteuert (für mich etwa "S'Risnradl", um nur eines zu nennen) und jetzt eine Sammlung von "Stadtgeschichten" vorgelegt, einen Band, ergänzt um eine stattliche Anzahl sehr reizvoller Farbfotos des gebürtigen Eisenstädters Manfred Horvath. Es sind kurze, teils Kürzestgeschichten aus dem Wiener Stadtalltag, die von Künstlern, Beamten, Polizisten, Pensionisten, Passanten, In- und Ausländern usw, erzählen und natürlich auch dann von Osterreich handeln, wenn der Aufenthalt eines Literatur-Stipendiaten in Rom beschrieben wird.

Apropos gebürtiger Wiener: "Wien ist anders ? als Wien" heißt ein Text in schö ner Variation dieses bekannten Slogans der Bundeshauptstadt, der dann so beginnt: "Von Auswärtigen wird den Wienern vorgehalten, sie würden sich gebärden, als gäbe es alles und jedes in ihrer Stadt. Ein Vorurteil, das berechtigt ist: in der Lustkandlgasse die Eheberatung, auf dem Fleischmarkt die Abtreibungsklinik; bei der Lange Gasse eine Kurzstreckengrenze; und in der Rechten Wienzeile den sozialistischen Vorwärts-Verlag".

Es sind Prosastücke, in denen die vielen Facetten eines Großstadtlebens festgehalten sind ? also das Außergewöhnliche, das durch das Gewöhnliche schimmert, und das Gewöhnliche, welches dem Außergewöhnlichen erst den letzten Schliff verleiht. Chobot ist ein Chronist der flüchtigen Stadtrealität, der untergehenden Momente, die der geübte literarische Schwimmer und Taucher gerade noch dem vergessen entreißt. Es finden sich Pretiosen in dieser Galerie festgehaltener Alltagsmomente, etwa jene knapp zwei Seiten umfassende Geschichte, welche das Buch beschließt. "Dragan bleibt a bissl da" ist von beeindruckender Authentizität und tragikomischer Brillanz. In dieser auf knappstem Raum in einer das Gastarbeiter deutsch nachbildenden Sprache erzählten Lebensgeschichte eines Gastarbeiters sammelt sich im Besonderen dieses Schicksals das Allgemeine in geradezu Lesebuch tauglicher Verdichtung. Hierbei kommtnatürlich der hörfunkerprobte Gestalter von Features (etwa über "Shopping City Ost") Chobot zu seinem Recht, weil man beim Lesen den Zuhörer durchzuspüren verneint, jenen Zuhörer, der nicht nur zuzuhören versteht, sondern auch in der Lage ist, das Wesentliche später tatsächlich hörbar werden zu lassen.

 
   
 
O. P. Zier
 
     
  Manfred Chobot: Stadtgeschichten.
Mit Fotos von Manfred Horvath. Bibliothek der Provinz, Weitra 1999, 118 Seiten.
 
     
 
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