Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Reisegeschichten" - Helmuth Schönauer  
im Literaturhaus - noch unpubliziert
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Reisegeschichten
  Reisegeschichten
     
    2003: Weitra, Bibliothek der Provinz      
    266 Seiten      
    € 25,--      
           
           
           
               
 
   
     
 
Reisegeschichten
 
     
 

Das dickste Chobot-Buch, seit Chobot publiziert! - Der Autor blättert demonstrativ in den Reisegeschichten, als er es vorstellt. Dieses Buch muß umfangreich sein, weil das Thema umfangreich ist! Es geht nämlich um nichts weniger als um eine Reise in die weite Welt. In einer prägnanten Analyse zu diesem Unterfangen heißt es über dem Inhaltsverzeichnis: "Das Weite suchen und die Nähe erfahren!"

Schon bei der ersten Station wird klar, daß Reisen nicht nur eine geographische Angelegenheit ist sondern in der Hauptsache etwas mit Zeit zu tun hat.

In Rom bricht sprichwörtlich an jeder Straßenkreuzung der historische Boden auf und spuckt etwas aus, das mit Bäder, Bögen, Gladiatoren umschrieben ist. Die Zeit ist zu Beobachtungszwecken völlig aufgehoben und es geht darum, Bewegungen und Abläufe aus dem alten Rom in den Bewegungen der Menschen von heute stroboskopisch zu überlagern. Immer wieder gibt es überraschende Akzente, etwa wenn das Wohlbefinden in antiken Bädern beschrieben wird, in denen es auch Bibliotheken gab.

Der Sprung nach New York fällt immer kraß aus, ganz egal aus welcher Epoche oder Gegend man anreist. Alles ist käuflich, ob Mobiles oder Unmobiles, selbst die Luft. (28) Zentrale Bedeutung gewinnen in dieser hyper-verbauten Stadt die Lobbies, hier trifft die Welt von Muße, Geschäft, Kleingarten und Dorfplatz zusammen, nicht umsonst hat sich der Lobbyismus zu eine eigenen Kulturform entwickelt, wenn er auch manchmal recht schräg mit demokratischen Formen einhergeht.

Das Gegenteil von New York ist gewissermaßen Los Angeles. "Feel fine" wird zu einer kandisierten Floskel, nach der man oft wortlos abdreht und dem nächsten Feel-Fine-Typen nachhechelt. Während an der Oberfläche der Stadt auf grenzenlose Weite und erlösende Illusion gemacht wird, strömen im Untergrund täglich neue Menschen aus Mexiko in die Stadt, um unter jeglichem Lohnniveau so etwas wie das Überleben zu organisieren.

Die dritte Komponente neben New York und Los Angeles ist die Weite dazwischen. Manfred Chobot fährt ansatzweise einige Highways ab und versucht irgendwo zwischen San Francisco und Los Angeles so etwas wie die Hälfte einer unermesslichen Strecke zu realisieren.

Der größte Teil der Reiseerzählungen "spielt" in Lateinamerika. Mexiko, Guatemala, Ecuador oder Peru zeigen immer den Istzustand, aber im abgeplatzten Putz der Vergangenheit schlummern die Geschichten jener alten Völker, die einst durch den Killer-Katholizismus penibel ausgerottet oder domestiziert worden sind.

Über einen Schwenk nach Kuba, Hongkong und Israel geht es schließlich in die putzigste aller Vergangenheiten, in die DDR. In einer emsig auf die Seite blickenden Erzählung über eine schriftstellerische Dienstreise des Jahres 1982 werden in Tagebuchmanier kleine Devotionalien des wirklich existierenden Sozialismus ausgebreitet. Die Botschaft ist unüberhörbar: Gegen die Zeit hat keine Ideologie eine Chance, denn was ist schon ein fixer Punkt gegen die Dynamik des Reisens.
Manfred Chobots Reisegeschichten sind eine aufregende Anleitung, die wichtigste Reise täglich anzutreten, nämlich jene von sich heraus zu sich zurück.

 
   
 
Helmuth Schönauer
 
     
  Helmuth Schönauer
preisfreier Schriftsteller
www.schoenauer-literatur.com
 
     
 
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