Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension von „Hawai'i. Mythen und Götter
Sylvia Unterrader, Podium, Nr. 205/206
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Manfred Chobot

       
   

Hawai'i
Mythen und Götter

     
   

2022: Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec

     
   

ca. 332 Seiten, gebunden, Lesebändchen

     
   

€ 21,00

     
   

 

     
           
               
 
   
     
     
 

„Dies wird mein Gott“, murmelte er und zog den Baumstamm ans Ufer, „lange habe ich auf dich gewartet.“ Der Häuptling schnitzte seinen Gott, nannte ihn Kū-ho'one'e-nu'u und baute für ihn einen Tempel. Kū-ho'one'e-nu'u revanchierte sich für die Verehrung, die ihm der Häuptling entgegenbrachte, sodass er zu großem Reichtum und Ansehen gelangte. Die Kunde von der Kraft des Gottes verbreitete sich über alle Hawai'i-Inseln.

Fantasievolle Geschichten wie diese, über Götter, Göttinnen, Gnome, Drachen und Menschen erzählt man sich auf Hawai'i seit Jahrhunderten. Die einst mündlich überlieferten Legenden – die alten Hawaiianer kannten keine Schrift – führen in eine dem westlichen Denken oftmals fremde Welt.

Der Wiener Autor Manfred Chobot, man könnte sagen, er war fast ein wenig zum Hawaiianer geworden, als er viele Male auf diese Inseln reiste, hat in seinen wochenlangen Aufenthalten eine Vielzahl dieser Mythen gesammelt, die geprägt sind vom unmittelbaren Erleben der Natur mitsamt ihren Gefahren, aber auch von ihrer wildromantischen Schönheit. Der mächtige Vulkan Kī-lau-ea spielt eine wichtige Rolle und die Vulkangöttin Pele, Haigott Ka-moho-ali'i, der aus dem Kopf seiner Mutter geboren wurde, und Laka, die Göttin des Hula-Tanzes, wie auch Māui, ein Halbgott, der die Sonne fängt und allerhand kühne Taten vollbringt. Die Götter und Göttinnen konnten sich in andere Gestalten verwandeln, etwa in Drachen, Hunde, Menschen.
Den Schriftsteller faszinierten die alten Überlieferungen, die wundersamen Legenden, in denen auch immer ein Körnchen Wahrheit versteckt ist, so wie auch Humor und Erotik eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

In seinem Vorwort informiert uns Manfred Chobot über den vulkanischen Ursprung der Inseln, deren Besiedlung und der damit eng zusammenhängenden Mythenbildung sowie der früheren Lebensweise, dass die alten Hawaiianer weder das Schießpulver kannten noch Porzellan oder Tongefäße: Wir erfahren auch, dass das Wort „Tabu“ aus der hawaiianischen Sprache stammt, da ein System des Tabus existierte, das sämtliche Bereiche des Lebens umfasste. Chobot führt zudem einige Eigenheiten der dortigen Sprache, die mit anderen polynesischen Sprachen eng verwandt ist, aus, beispielsweise, dass jeder Vokal gesondert ausgesprochen wird: Ka-u-a-i, Hawa-i-i.

Und er zeigt uns, dass das Meer nicht nur eine Heimstatt menschenfressender Haie und ihrer Götter war und ist, sondern auch die Möglichkeit zu so himmlischen Vergnügen wie etwa dem Surfen bietet – seinerzeit ein Privileg der hawaiianischen Adligen – und ein bevorzugter Sport des Schriftstellers.

Das Wichtigste jedoch sind die Götter, in Manfred Chobots Buch tummeln sie sich in vielerlei Variationen. Dabei konnten sich die Menschen oftmals aussuchen, welchem Gott oder welcher Göttin sie den Vorzug gaben, ganz nach den jeweiligen Bedürfnissen. So wurden unterschiedliche Wünsche erfüllt oder Privilegien gewährt. Sogar schien es einen internen Wettbewerb in der Götterwelt gegeben zu haben, welcher von ihnen die meisten „Follower“ erringen konnte, wie man heutzutage vielleicht sagen würde.

Welcher mein persönlicher Lieblingsmythos ist, kann ich bei dieser Fülle an phantastischen Geschichten beim besten Willen nicht sagen. Sie sind alle verzaubernd und exotisch, oft humorvoll und dabei weise. Von Manfred Chobot aufgeschrieben mit feinem Gespür und in hinreißender Sprache. Eine Empfehlung!

Sylvia Unterrader

 
 
 
 
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