Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "ich dich und du mich auch." - Sylvia M. Patsch  
"Der Standard", 25. Jänner 1991; und "Neue Züricher Zeitung", 22. Dezember 1990
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Ich dich – und du mich auch
     
    Gedichte      
    1990: Baden bei Wien, Verlag Grasl      
    € 8,00      
           
           
           
               
 
   
     
 

Ich Dich Und Du Mich Auch: ein Titel, der dazu anregt Verben einzusetzen, die von der Liebe handeln, vom Haß, vom Missverständnis, von der Enttäuschung. Um diese Skala geht es auch in Manfred Chobots neuen Liebesgedichten. Es sind moderne Gedichte; sie kommen ohne Versatzstücke aus früheren Zeiten dieser Gattung aus. Sie sind unverblümt im An- und Aussprechen heutiger Liebesverhältnisse. Der Band hat zwei Teile, die man mit Davor und Danach umschreiben möchte: Davor - das bedeutet Vor-dem-aus-der-Liebe-Fallen, danach trägt das Motto "Danke man lebt".

Chobot schlägt keine hehren Töne an, und recht hat er. Denn die ganz großen Gefühlserlebnisse, Abaelard und Heloise, Beatrice und Dante, sind wohl nur wenigen vorbehalten. Chobots Aussagen sind eine Mischung aus Angst vor der Erschütterung und Ironie.

Das zeigt schon das erste Gedicht, das in Prosanähe das Missverständnis von Lieben und Geliebtwerden ausdrückt: "warte nur wenn du / dich nicht vorsiehst / schreibe ich ein liebesgedicht / für dich / dann wirst du schon / sehen / das hast du jetzt / davon."

Liebe, das ist Rausch, Besessenheit vom Körper des anderen, das Nicht-ohne-ihn-sein-Können; das Flehen um Nähe.
Chobot findet für diesen Zustand eine hellsichtige Wendung ins Ironische. Das lyrische Ich schmeichelt der Geliebten einen Gegenstand ab, der nach ihr riecht, "damit ich daran schnuppern / kann / deinen geruch schlürfen / um deiner fährte / folgen zu können / wie ein hund."

Da kommt das Bewußtsein zum Vorschein, daß Abhängigkeit den Liebenden kleiner macht, daß Freiheit verloren gehen kann in der Liebe.

In einem der Gedichte öffnet der Liebende den Schrank der Geliebten und fürchtet um ihre Tiere, die auf ihren Pullovern abgebildet sind: "gepeinigt / von vermuteten löchern / beschwöre ich / die gewebefresser / ihren woll-bilder-tiere-hunger / zu bändigen / und rufe die fastenzeit aus."

Chobot findet Bilder für die Trauer nach einer verlorenen Liebe. Jahrelang heben die Liebenden zwei Marzipanhasen auf, die, eingehüllt in Zellophan, steinhart werden. "in den wirren der trennung / ist einer der beiden marzipanhasen verlorengegangen / weiß nicht welcher von / uns beiden." In dem einzigen Wort "uns" steht das Erschrecken auf, öffnet sich das Bild hinter dem Bild. Chobot spürt kurz und unprätentiös die Assoziationskraft von Gegenständen für Liebende auf.

Der zweite Teil des Buches gehört der Verzweiflung darüber, wie schnell Menschen einander fremd werden können, wie stark Einsamkeit auch körperlich fühlbar ist, und wie teilnahmslos Nicht-Liebende dem Liebenden begegnen. Es ist auch die Rede vom Erschrecken bei der Erkenntnis, daß jede neue Beziehung noch schneller ans Ziel und damit in die Langeweile mündet. "Freiheit, ein für alle mal" bleibt ein Wunschtraum.

Diese Gedichte sind wie Hände, die am Puls unserer Zeit liegen und den unruhigen Schlag des oft getriebenen, atemlosen Lebens registrieren, bis hin zur Ernüchterung, dem Verlangen, sich auflösen zu können. Hier ist ein Dichter, der sich nicht in Leidenschaft hineinreden muß, sondern einer, der sich hinunterspielt, der in die Floskel "danke man lebt" flüchtet, "wenn bloß nicht / die emotionen zuschlügen / wahrhaft / es ließe sich / damit leben". Aber sie schlagen zu, Chobots Gedichte zeugen dafür, ehrlich, genau, nachvollziehbar.


 
   
 
Sylvia M. Patsch
 
 
 
     
     
 
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