Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Chobot-Lesebuch"- H. Wolf Käfer  
"morgen", Nr. 55, 1987
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
„Chobot-Lesebuch“
  Chobot-Lesebuch
     
    1987: Wien, Frischfleisch &      
    Löwenmaul      
    broschiert      
    vergriffen      
           
           
               
 
   
     
  Mutig für die Schwächeren  
     
 

"im aschenbecher / zigarrenstummel / wie maikäfer im april". Dieses Haiku, vielleicht das Kostbarste in Chobots Lesebuch, will richtig gelesen sein. Das Haiku, das nach alter Tradition die Natur zum Inhalt haben und Ort sowie Jahreszeit erkennen lassen, aber nicht nennen soll, scheint auf den ersten Blick nicht die geeignete Form, um über Zigarrenstummel zu schreiben. Wenn man sich aber vor Augen hält, was es bedeutet, dort, wo man Natur erwartet, Naturschädigendes (Zigarren) zu finden, die Natur selbst aber nur noch als Vergleich (wie maikäfer) ohne eigenen Realitätswert, hat man den Schlüssel nicht bloß für dieses Gedicht, sondern für die meisten Texte Manfred Chobots gefunden. Oft - auch bei diesem Gedicht - erkennt man, daß etwas, was vorerst wie Bruch der Konvention aussah, Anerkennung der Tradition ist: Der Aschenbecher steht seltener in freier Natur, deutet also auf Innenraum, die Maikäfer im April lassen die Zeit erkennen: zu früh. Zu früh also hat die Schädigung des Körpers (durch Zigarren) oder der Natur (durch Schlote) stattgehabt, überraschend, unerwartet früh. Ein treffliches Haiku also, bei dem mehr stimmt als bloß die Silbenzahl.

Das Vorliegende ist ein Lesebuch; in einem Lesebuch - man kennt das noch von der Schule - sind unterschiedliche Texte ohne größeren Zusammenhang aneinandergereiht. Einiges ist den Texten dennoch gemeinsam: Anstelle von aufdringlichen Reflexionen bekommt man hier Geschichten und Bilder, Träume und Phantastereien vorgesetzt, den Kommentar muß man sich selbst verfassen; es fehlt das heute (fernseh-)übliche Auf-die-Spitze-Treiben der Dramatik, schon in der Anfangsgeschichte bemerkt nicht ein siegreicher, sondern realistischerweise ein eher erfolgloser Schwimmer, daß es auch noch anderes gibt in dieser Welt als Sport und Trainingsdisziplin; und - leider - gemeinsam ist den Texten auch, daß neben erstaunlichen, ziselierten Sprachblüten auch solche wuchern, die man überkommenerweise als Stilblüten bezeichnet (z.B. der Mittelwortbezug. Es geht um ein neues Haus, die Leute tragen Gegenstände weg. "obwohl eben fertiggestellt, tue ich, als ginge mich das nichts an").

Viel gibt es, was man in diesem Buch kritisieren kann. Das als Motto gewählte Zitat schon ist (zumindest in dieser Isoliertheit) fragwürdig: Wenn das "Wesen der Tugend Widerstand ist", ist das Wesen eines Buches das Umblättern und das Wesen der Wiener Küche das Besteck. Ebenfalls unglücklich - zumindest das - ist die Idee, Gedankensplitter als Eintragungen mit (unnötiger) Datumsnennung zusammenzustellen: 1977 kam Handkes "Gewicht der Welt" heraus, Chobots Eintragungen beginnen März 78, Handke zeigt, wie viel ihm pro Tag einfällt, Chobot gibt zu, daß nur einmal im Monat etwas Berichtenswertes unter seinen Einfällen ist. Und überdies: So klobig, hölzern, ja holzhämmerisch müssen selbst Lehrdialoge nicht sein.

Was das Lesebuch dennoch wertvoll macht, ist Chobots unerbittliche Aufmerksamkeit für die Schwachen, Verlorenen, Vergessenen. Scheinbar standpunktlos, häufig ironisierend, gleichsam in freischwebender Perspektive schafft er es, den Leser neuerdings für diese Schicksale zu interessieren. Der Verlorene, jeder kennt ihn, der einen anödet mit seiner Weinerlichkeit, wurde noch nicht verständnisvoller beschrieben als in "Sehr angenehm, Mixed Pickles". In diesen kurzen Skizzen (und nicht in den schwerfälligen Dialogen) liegt Chobots Kraft, hier vermag er zu berühren, eine ungewohnte Sprache zu finden, hier lohn sich, auch wenn die Texte manchmal auf den ersten Blick spröde, unscheinbar, glanzlos wirken, der zweite Blick: der hinter die Wortfassade. Eine mutige und selbstbewußte Schreibweise, die freilich alle Aeronauten des Literaturumgangs, welche statt zu lesen bloß überfliegen, vom Genuß ausschließt. An ihren Urteilen (auch über Chobot) sollt ihr sie erkennen.



 
   
 
H. Wolf Käfer
 
 
 
     
     
 
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