Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Ernte der Stachelbeeren" - Helmuth Schönauer
   
   
 
     
     
 
 
  Manfred Chobot - "Ernte der Stachelbeeren"  
   
 
  Die Ernte der Stachelbeeren      
    Text-Clips.      
    2007: Horn, Edition Thurnhof.      
    Mit Lithographien von Regina      
    Hadraba.      
    € 24,--      
           
               
 
   
     
 

Vor dem Essen zu duschen kann ganz schön aufregend sein, wenn eine nette Partnerin beim Einseifen hilft und die Waschung immer tiefgehender wird, öha!, und beim Hinausgehen stellt sich dann gar heraus, dass das alles ein Puff ist.
Manfred Chobot erzählt in seinen Text-Clips von aufreizend schönen Unglücksfällen, die letztlich alle ein Glück darstellen. Die Clips rauschen ungefragt vor das Leserauge, entwickeln eine überraschende Situation und ziehen sich quasi ohne Moral wieder in den Untergrund des literarischen Universaldepots zurück.
Einmal gehen Besucher in eine Bibliothek, aus deren bibliophilen Bestand mit der Rasierklinge die wertvollsten Blätter den kostbaren Buchleibern entnommen worden sind. Zur Tarnung sind die Umschläge vertauscht und alles läuft auf einen gigantischen Etikettenschwindel hinaus. (7)
In einem Originalschweinestall begrüßt eine deklariert nette Sau die Besucher und macht eine informative Führung. Plötzlich aber blitzt ein Suchscheinwerfer auf und die nette Sau wird ohne Kommentar abgestochen. Dem Besucher bleibt ein transzendentes Erschaudern zwischen Überleben und Tod.
Irgendwo hinter Neusiedl kommen die Wochenendbesucher aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Hang, an dem ihr Wochenendhäuschen gestanden ist, ist frisch gepflügt, das Haus ist weggebaggert worden. Und auch das Nachbarhaus ist weg, immerhin wird aufgeräumt in der Landschaft. Die Besucher sind nur kurzfristig aus dem Häuschen, denn sie haben ja im wörtlichsten Sinn kein Haus mehr. Aber sie akzeptieren offensichtlich die neue Landschaftsästhetik mit der schönen österreichischen Untertanenformel: „Es sei schon in Ordnung, wie es ist.“ (23)
In der Titelerzählung schließlich platzen beim Ernten die frisch gepflückten Stachelbeeren und richten jede Menge Sauerei in den Behältern an. Es bleibt nur mehr ein amorphes Früchte-Sugo übrig, das aber durchaus Geschmack hat. (36)
Manfred Chobots Clips sind frech und unanständig, sie untergraben die gängige Dramaturgie, denen kleine Erzählungen üblicherweise unterworfen sind. Die Texte springen selbstbewusst und mit großem Tamtam auf die Bühne oder projizieren sich selbst in X-Large auf jede erdenkliche Leinwand. Als Teaser huschen die seltsamen Begebenheiten über die Seiten und verunsichern den Leser: War das jetzt ernst gemeint, ist das realistisch, was mag diese Groteske wohl bedeuten?
Die Lithographien von Regina Hadraba werfen sich ungestüm vor die Texte, als wollten sie diese zu einer Notbremsung veranlassen. Hinter heftigen Linien, die sich wie abgezwickte Drahtzäune über den Vordergrund schlängeln, lauern oft schattige Figuren, die das Spielbein erotisch ungeniert zur Schau stellen. Am ehesten sind die Figuren scharf, wenn sie ihrem eigenen Schatten gegenübersitzen, der sich als Hauptfigur ausgibt. Die Gesichter, Schraffuren und Hauptflächen der Bilder sind in die Tiefe gesetzt, während sie nach zerborstenen Spinnennetzen im Vordergrund tasten. Wenn der Betrachter das Bild abtastet, verändert dieses verlässlich seine Realität und begleitet den nächsten Clip ein, der prompt und grotesk einsetzt.
Vielleicht lassen sich Texte und Bilder nur ernten, wenn man sie wie zerplatzte Stachelbeeren in einen Bottich des Herbst-Geschmacks wirft.

Manfred Chobot: Die Ernte der Stachelbeeren. Text-Clips. Mit Offsetfarblithographien von Regina Hadraba.
Horn: Edition Thurnhof 2007. 36 Seiten. EUR 24,--. ISBN 3-900-678-88-X.
Manfred Chobot, geb. 1947, lebt in Wien.
Regina Hadraba, geb. 1964 in Waidhofen/Thaya, lebt in Pfaffstätten.
Helmuth Schönauer 10/10/07

 
   
     
     
     
 
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