Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Ernte der Stachelbeeren"- Christian Teissl
Literarisches Österreich 2009/1
   
   
 
     
     
 
 
  April 2008  
   
 
  Die Ernte der Stachelbeeren      
    Text-Clips.      
    2007: Horn, Edition Thurnhof.      
    Mit Lithographien von Regina      
    Hadraba.      
    € 24,--      
           
               
 
   
     
 

Nahezu zeitgleich mit dem von Wolfgang Müller-Funk und Karin Zogmayer herausgegebenen voluminösen Buch „Chobot bleibt“, einer Festschrift zum 60. Geburtstag des ebenso vielgesichtigen wie unverwechselbaren Wiener Wortkünstlers, ist in der Edition Thurnhof dieser schmale Prosaband erschienen. Die 19 Prosatexte, die er präsentiert, sind nur schwer auf einen Nenner und kaum auf einen Begriff zu bringen; die allermeisten von ihnen entziehen sich einem raschen Zugriff. Weder handelt es sich um reine Prosagedichte noch um Kürzestgeschichten im Sinne etwa eines Doderer oder Eisenreich. Kürzestgeschichten haben schließlich stets eine Pointe und weisen zumeist eine starke Tendenz ins Anekdotenhafte auf, Chobots Miniaturen jedoch kommen ohne Schlusspointen aus, verzichten auf einen Knalleffekt, eine Überraschung im letzten Satz oder Absatz und können sich solchen Verzicht auch leisten, da sie ohnedies fast ausschließlich aus Überraschungen bestehen.
Die meisten haben offene Anfänge und Enden, setzen ziemlich unvermittelt ein, mit einem Satz wie „Uns wird gestattet, Wohnung und Bibliothek als Büro zu benützen“ oder „Als wir in Neusiedl ankommen, ist unser Grundstück frisch gepflügt“ und brechen ebenso unvermittelt wieder ab, nur  einige wenige wirken in sich abgeschlossen und verzichten auf eine schillernde Existenz als Fragment, so etwa der „Märchen“ überschriebene Text, dessen Anfang ganz klassisch und konventionell mit der Formel „Es war einmal“ aufwartet, und der an ein Dramolett gemahnende Text „Gastfreundschaftlichkeit“, der mit der Formel „Vorhang auf“ beginnt.
Der Titel dieser Sammlung – er könnte durchaus der Titel eines Gedichtbandes sein – verrät so gut wie nichts vom Gehalt des Buches; auch der Untertitel, „Text-Clips“, ist auf eine beziehungsreiche Art und Weise vage. Das englische Wort „clip“ kann, als Substantiv verstanden, eine Büroklammer meinen oder aber eine bestimmte Art von Kurzfilm, die dazu dient, einen Popsong in kurzen, eindringlichen Sequenzen zu illustrieren, zu visualisieren, ihn filmisch umzusetzen und zu begleiten.
Diese zweite, übertragene Bedeutung des Wortes allerdings bringt uns dem Charakter von Chobots Miniaturen ein wenig näher, lassen die meisten von ihnen sich doch wie poetisch ausformulierte Filmexposés lesen. Die Diktion erinnert, nicht zuletzt aufgrund der Verwendung des Präsens über weite Strecken, aber auch an die Sprache von Traumprotokollen, die man, gerade aufgewacht, hastig anlegt, ehe man wieder vergisst, was man soeben geträumt hat.
Es wird hier nichts ausgemalt, sondern alles nur skizziert, es wird nicht geschildert, sondern vielmehr schlaglichtartig gezeigt, was in dieser und jener Geschichte vor sich geht.  Aus einer Ich- oder Wir-Perspektive heraus umreißen diese Text-Clips traumartige Situationen und rätselhafte Ereignisse. Dem Skurrilen und Grotesken wird dabei sehr viel Raum gegeben, die gängige Logik außer Kraft gesetzt. Da gedeihen auf dem rechten Unterschenkel Orchideen, da regnet es Gummigeschoße vom Himmel, da werden zukunftsträchtige Sportarten wie dem Mondschifahren geschildert.
Weniger von den Bedeutungen, die den Worten allgemein zugesprochen werden, als von ihren Lautbildern lässt der Autor sich leiten und gelangt so, nur scheinbar zufällig und beiläufig, zu Sätzen wie dem folgenden (in dem Text „Karfreitagspassion“): „Da wir im Verzug waren, fuhren wir Aufzug und kamen voran.“  oder dem folgenden (in dem Text „Der Klient“): „'Dein Einfall, meine Liebe', sagte ich in einem Anfall von Klarsichtigkeit.“ Und in der bereits erwähnten Miniatur „Mondschifahren“ kommt der Autor (und mit ihm der Leser, sofern er Schritt halten kann) vom Wort „Sonnenbrände“ schnurstracks zum Wort „Doppelgebrannten“, und auf den Satz: „Indes behandelt der Reiseleiter die eitrigen Köpfe der Schneetaucher“ folgt, in Klammern, der Satz: „Das Verlangen nach einem See taucht auf.“ Aus derlei Assonanzen und Assoziation ergeben sich Wortreihen und Begriffsketten, die sich durch die Texte ziehen, ihnen Struktur und Dichte verleihen. Mitunter, wie etwa in dem wohl kunstvollsten Text der Sammlung, „Eine Wanderung über Land – mit Aktenkoffer in der Hand“,  steigern sich diese Klanghäufungen und Wortreihungen zu unbändigen Reimspielen, die ad infinitum fortzusetzen wären: „Ein Uniformierter versucht uns zu bekehren, wir sollten ihn verehren. Agathe spricht von Vermehren: ‚Wir sind in Eile’. Es findet sich eine Feile, und wir nehmen den nächsten Zug.“
Chobots Text-Clips zeichnen sich, wie allein an diesem Beispiel deutlich wird, durch ein hohes Maß an Verspieltheit aus, wirken zwar improvisiert, sind aber Teil einer größeren jahrelangen Traum- und Schreibarbeit, sind, so wie sie hier vorliegen, kein Ganzes, sondern Ausschnitt, Spitze eines Eisberges, dessen genaue Lage nach Längen- und Breitengrad niemand bestimmen kann.
In seiner weitverzweigten literarischen Arbeit, von seiner frühen satirischen Prosa – wie sie etwa in dem Band „Der Gruftspion“ von 1978 gesammelt ist – über seine Dialektgedichte, seine Liebeslyrik, seine Dorf-, Stadt- und Reisegeschichten bis herauf zu seinen „Briefen aus Hawaii“, erweist und bestätigt sich Chobot immer wieder als Homo ludens, als  ein Gedanken-, Silben- und Wortspieler, aber auch als Schauspieler. Er schreibt, um Erfahrungen zu machen und dabei ein anderer zu werden. Ein bestimmtes Programm verfolgt er dabei nicht, eine dogmatisch festgelegte literarische Ästhetik wäre ihm nicht gemäß. Er greift vielerlei auf und spielt damit nach seinen eigenen, oft erst spontan festgelegten Regeln. In der Folge ist und bleibt er immer für Überraschungen gut.

Christian Teissl

 
   
     
     
     
 
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