Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Reise nach Unterkralowitz“ – Helmuth Schönauer  
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Manfred Chobot

       
   

Reise nach Unterkralowitz

     
   

2009

     
   

Hohenems, Limbus Verlag

     
   

192 Seiten

     
   

€ 18,90

     
           
               
 
   
     
     
 

TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 1189

Reise nach Unterkralowitz

Von außen betrachtet sind Familien immer Stoff für eine Komödie, von ihnen gesehen sind sie pure Tragödien.
Manfred Chobots Reise nach Unterkralowitz ist auf den ersten Blick eine Familiengeschichte über vier Generationen. Wenn man sich aber auf die jeweilige Generation einlässt, so entdeckt man jede Menge Alltagsgeschichte, welche elegant in der Weltgeschichte versteckt ist.
Die erzählende Hauptachse gilt der 68er Generation. Der Ich-Erzähler wird Vater und treibt damit das Schwungrad der Generationen an. Mit dem Kind kann der Erzähler oft wenig anfangen, außer dass er seinem Sohn gelungene Namen gibt. So wird der Ungeborene „Fuzzi“ genannt, der quengelnde Säugling „Quäko“ und das Windelkind schließlich „Ügl-Ü“. „Ügl-Ü könnte aus dem Türkischen stammen.“ (67)
Mit dieser Kosenamen-Politik wird auch das Politische zum Vorschein gebracht. Man muss den Dingen nur einen richtigen Namen geben, dann kann man sie beschreiben. Lösen kann man die Probleme ohnehin nicht.
In der Familiengeschichte wimmelt es nur so von skurrilen Vermehrungsritualen. Die einen gehen nach der Zeugung in den Krieg und sterben im weit entfernten Usbekistan, die anderen beenden ihre sexuelle Tätigkeit und packen die Geschlechtsorgane für immer ein, wenn das Handwerk der Zeugung erledigt ist, allein der Erzähler starrt auf das Reagenzglas des Schwangerschaftstestes und säuft sich an, als sich darin der Ring der gelungenen Vermehrung zeigt.
Diese Kleinodien der Familiengeschichte führen stracks über in die jeweilige Weltlage. Der Großvater des Erzählers wurde im ersten Weltkrieg verheizt und starb elendiglich in Usbekistan, der Vater hat als Stammhalter den zweiten Weltkrieg geduckt als Feuerwehrmann überleben dürfen, der Erzähler schließlich betätigt sich in der Friedensbewegung und schließt an den Großvater an.
„Ursprünglich wollte ich aus Großvaters Kriegstagebuch vorlesen, jedoch die Zeit, die mir zur Verfügung stand, war dagegen.“ (164) So bleibt es schließlich bei der Aufführung der Fakten, die zur Vernichtung des Großvaters geführt haben. Der Roman schließt mit einem fulminanten Kriegstagebuch aus ferner Zeit.
Zumindest auf Spurensuche kann sich der Erzähler begeben, wenn schon keine eindeutigen Ergebnisse vorliegen. So kommt es zu dieser sagenhaften Reise nach Unterkralowitz, einem kleinen tschechischen Ort, an dem einst alles begonnen hat.
Manfred Chobot erzählt verschmitzt logisch, die großen Ereignisse haben stets Auswirkung auf den Mikrokosmos, Familienstrukturen sind genauso unlogisch wie Staatsgebilde, große Ideologien werden mit jeder Generation über den Haufen geworfen. Letztlich braucht es eine ungehemmte Zeugungslust, um den Stab des Unsinns an die nächste Generation weiter zu geben. – Unterkralowitz ist eine wunderbare Reise zur Schatztruhe des Sinns!

Manfred Chobot: Reise nach Unterkralowitz. Roman.
Hohenems: Limbus 2009. 192 Seiten. EUR 18,-0. ISBN 978-3-902534-29-3.
Manfred Chobot, geb. 1947 in Wien, lebt in Wien.
Helmuth Schönauer 24/09/09

 
 
 
 
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